Naturgemäß regt das Ende einer Fußballsaison alle wahren Fußballfans dazu an, Fazits zu ziehen. Bisweilen ufern diese Fazits sogar in Bezug auf den Herzensverein in geradezu philosophische Betrachtungen aus álà:

Wo kommen wir her, wo stehen wir, wohin geht die Reise?

Und wir, als echte Schalker, wissen natürlich, dass wir entgegen landläufiger Vorurteile und Schmähungen nicht nur üblicherweise über einen Schulabschluss verfügen, sondern darüber hinaus durchaus im Stande sein können, tiefergehende Analysen dieser Art anzustellen, wenn es gerade opportun erscheint.

Auf eine solche kleine gedankliche Reise möchte ich Euch im Folgenden mitnehmen und hoffe dabei, dass sie Euch nicht so sehr langweilt, dass Ihr einschlaft, ungebremst mit dem Kopf auf die Tischplatte aufschlagt und dadurch nordkurvenkompatible Zahnkulturen erzeugt… .

In diesem Sinne, anschnallen, Reise genießen, und los geht‘s:

Wo kommen wir her?

Wir Schalker identifizieren uns mit unserem Club, dem ruhmreichen FC Gelsenkirchen-Schalke 04
e. V. mit einer Intensität wie nur ganz wenige Fußballfangruppen anderer „Vereine“, so dass ein „Wir“ in dem Zusammenhang immer neben uns Schalkern auch den von uns so geliebten Club meint.
Dieser hat in seiner langen und herrlich traditionsreichen Geschichte viele Erfolge, aber auch einige Rückschläge zu verzeichnen, deren Aufzählung jeweils nicht in diesen Rahmen passt.
Daher beschränke ich mich hier auf das kleine, aber gar nicht feine Zeitfenster der vorherigen Saison 2020/21, in der der gesamte Verein inklusive der damaligen Mannschaft ein desolates Bild abgegeben hat, das seinesgleichen in der Historie dieses großen und einzigartigen Fußballvereins erfolglos sucht.
Nur um einige Lowlights anzureißen: Verfehlte Vereinspolitik über mindestens ein Jahrzehnt, wiederkehrend unglückliche Trainerauswahlen, das überlange Festhalten an unpassenden und überforderten Trainern und letztlich eine immer weiter fortschreitende Auswahl von Spielern, die völlig überteuert waren, zugleich zum Großteil aber weder von der Leistung, noch von der Mentalität zu Schalke passten, führten letzten Endes zu einer Spirale der wirtschaftlichen und sportlichen Talfahrt, die im Sommer 2021 in einen der schmählichsten Abstiege der Bundesligageschichte mündete.

Die vielen Gesichter des seinerzeitigen Niedergangs, aus Aufsichtsrat, Vorstand, Mannschaft und deren Umfeld, sind inzwischen als unrühmliche Schalker Geschichte Vergangenheit, was aus Sicht aller echten Schalker ein großes Glück ist.

Wo stehen wir?

Der gnadenlose Untergang erforderte einen kompletten Neuanfang, ein Erfordernis, das Schalke zu Genüge kennt und immer wieder praktizieren musste, das aber sehr selten so wunderbar glückte wie vor und zu Beginn der Zweitligasaison 2021/22!

Ein neuer Aufsichtsrat und ein neuer Vorstand, beide im Unterschied zu den Vorjahren bestückt mit Personen, denen Schalke ehrlich am Herzen liegt und die darüber hinaus in ihren Ressorts fachkompetent sind oder zumindest zu sein scheinen, haben in kürzester Zeit die Weichen für eine Kehrtwende gestellt, die glorreicher unter den gegebenen Umständen kaum sein konnte.
Nachdem der Schein-Messias Rangnick, der Schalke offenbar nur zum Aufpolieren seines verblassenden medialen Ruhmes missbraucht hatte, aber in der verdurstenden Schalker Seele wie eine Oase wirkte, sich als Illusion entpuppte, war bei uns Schalkern die Ernüchterung überwiegend groß, als die scheinbare B-Lösung, Rouven Schröder, als Sportdirektor vorgestellt wurde. Es schien so, als würde das Schalke-Jammertal eine Fortsetzung erfahren, sogar Stimmen von besorgten „Fachkundigen“, Schalke könne in Liga 3 durchgereicht werden, waren vernehmbar.

Aber, welch Wunder, es kam ganz anders:
Der von Peter Knäbel, einem in der Öffentlichkeit erfreulich zurückhaltend und sympathisch auftretenden Sportvorstand, ausgewählte Rouven Schröder packte die Mammutaufgabe, die sportlichen Versager des Vorjahres loswerden zu müssen und parallel nahezu ohne adäquate finanzielle Mittel eine neue Mannschaft aufzubauen, mit riesigem Fleiß, aber vor allem auch mit großem Erfolg an.
Er schuf mit Hilfe von rund 50 Transferaktionen eine Mannschaft, in der alles zu stimmen scheint. Die Spieler identifizierten sich von Beginn an mit unserem FC Schalke, gaben auf dem Platz im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles, standen füreinander ein und etablierten sich nach den zu erwartenden Anfangsschwierigkeiten in der Spitze einer sehr starken und ausgeglichenen 2. Bundesliga.

Dies alles, obwohl es in Folge der Corona-Pandemie über weite Strecken der Saison in den Stadien keine Unterstützung durch die besten Fans der Welt gab!

Rouven Schröder hat etwas geschafft, das ich aufgrund der immer wieder gebetsmühlenartig wiederholten, aber nie eingehaltenen Versprechungen seiner zahlreichen Vorgänger seit Rudi Assauer nicht mehr für möglich gehalten hätte:
Er suchte gezielt und fand Spieler, die nicht nur in das stark verkleinerte Gehaltsgefüge des FC Schalke passten, sondern die es auch spielerisch und, ganz wichtig, charakterlich verdienen, unser Trikot, das Trikot des geilsten Clubs der Welt, zu tragen. Und noch mehr als das: Sie haben bewiesen, dass es sie mit ehrlichem Stolz erfüllt, dieses Trikot tragen zu dürfen und sich in den Dienst des Clubs zu stellen.

Was für eine Kehrtwende nach den letzten Jahren, was für ein fast vergessenes Gefühl, dass uns die Verantwortlichen und die Mannschaft in dieser Saison beschert haben!!

Dimitrios Grammozis, dem Trainer, der die undankbare Aufgabe hatte, zum Ende der Abstiegssaison diesen Trümmerhaufen aus sich selbst überhöhenden Niedrigleistern zu übernehmen und die neue Mannschaft in der 2. Liga zu etablieren, gebührt dabei Dank. Seine größte Leistung war die Stabilisierung eines Teams, das zuvor noch nie zusammengespielt hatte, in einer spielerisch starken Liga mit etablierten Mannschaften, die sich kaum Schöneres vorstellen konnten, als gegen den großen FC Schalke zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund stelle ich fest, dass Grammozis seiner Aufgabe gewachsen war, denn er hat Schalke permanent in Reichweite zu den Aufstiegsplätzen gehalten.
Dennoch war es völlig richtig, dass Grammozis 9 Spieltage vor Saisonschluss abgelöst wurde, nachdem zu Hause 3:4 gegen die abstiegsgefährdeten Rostocker verloren wurde.

Rouven Schröder hatte zu Recht erkannt, dass es eines neuen Impulses bedurfte, wenn das vorsichtig avisierte Ziel, der möglichst direkte Aufstieg, noch erreicht werden sollte.
Als aber dann Mike „Buyo“ Büskens als Interimstrainer für den Rest der Saison präsentiert wurde, sah es für viele Schalker, so auch für mich, so aus, als hätte Schalke sich von dem Ziel des direkten Aufstiegs verabschiedet. Es roch, nicht ganz unbekannt Auf Schalke,  nach reiner Folklore und nach der Aussicht auf einen neuen Versuch in der kommenden Saison.

Aber weit gefehlt, denn Buyo holte aus einer ohnehin schon zusammengeschweißten Mannschaft auch noch die letzten Prozent zur Höchstleistung heraus. Durch seine authentische und extrem sympathische Art, seine Motivationsfähigkeit, eigene Bereitschaft, immer alles für den Club zu geben, und durch seine große ansteckende Liebe zum FC Schalke erreichte er mit dem Team aus 9 Spielen 8 Siege, den direkten Aufstieg und die Zweitligameisterschaft.
Das war viel mehr, als selbst die größten Optimisten unter uns Schalkern zu hoffen gewagt hätten!!

Überhaupt, wir Schalker: Auch wir haben unseren Anteil am Erfolg, haben mitgefiebert, ob am Fernseher oder im Stadion, haben auch alles gegeben und sind am Ende mit in den unvergleichlichen Strudel der kumulativen Glückseligkeit gezogen worden, aus dem wir uns nicht befreien, sondern in dem wir so lange wie möglich kreisen möchten.

Ich gehörte zu den Glücklichen, die inmitten des frenetischen Wahnsinns in der Nordkurve den emotional kaum zu überbietenden Erfolg gegen St. Pauli am 33. Spieltag miterleben durften, einen Erfolg, von dem sich meine Stimme auch über zwei Wochen später noch nicht erholt hat.
Und auch ich schwelge, wie alle Schalke, unverändert im Glück und in der Freude über den wiedergewonnenen Erfolg des FC Schalke 04!

Wohin geht die Reise?

Zunächst einmal findet sich der FC Schalke nun in der 1. Bundesliga wieder, dort, wo er nach Meinung aller Fußballfans hingehören soll.
Finanziell betrachtet existiert das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu dieser Liga sicherlich, denn leider regiert bekanntlich der Kommerz seit vielen Jahren den Profifußball und alleine die Fernsehgelder garantieren Schalke 30-40 Mio. Mehreinnahmen jährlich im Vergleich zu 2. Liga.
Ob die 1. Liga aber sportlich und von der Zusammensetzung der Vereine her wirklich attraktiver ist als die 2. Liga der Saison 2021/22, darüber darf trefflich gestritten werden.

Dies näher auszuführen, führt hier zu weit, daher nur so viel:
Mit Schalke, Bremen und ggf. dem HSV kommen wieder drei Vereine und Mannschaften in die
1. Liga, die deren Niveau in allerlei Hinsicht anheben werden. Der Plastik- und Graue-Maus-Faktor nimmt etwas ab und wir Schalker haben auch deshalb Grund, uns auf die kommende Saison zu freuen.

Es wird eine Saison geben, in der es, das glaube ich fest, Rouven Schröder wiederum gelingen wird, durch Transfereinnahmen und sonstige ihm zur Verfügung gestellte Gelder den sehr guten Zweitligakader in einen konkurrenzfähigen Erstligakader umzuwandeln. Dabei bin ich zuversichtlich, dass er es erneut schaffen wird, in jeder Hinsicht passende, weil die Mannschaft spielerisch und menschlich ergänzende Spieler zu finden.

Von den Verantwortlichen erhoffe ich mir, dass sie den eingeschlagenen Weg der finanziellen Vernunft und Konsolidierung unter Berücksichtigung der sportlichen Notwendigkeiten beibehalten.

Uns Schalkern wünsche ich, dass wir aus den letzten Jahren gelernt haben, dass wir die nötige Geduld und den Realismus mitbringen, um zu akzeptieren, dass finanziell gesunder und damit nachhaltiger sportlicher Erfolg in der Regel langsam wächst und dass wir in den nächsten Jahren zunächst einmal den Klassenerhalt als Ziel akzeptieren müssen.
Dabei ist auch die Erfahrung schön und hilfreich gewesen, dass ein Abstieg nicht zwangsläufig das Ende ist, sondern auch einen tollen Beginn von besseren Zeiten bedeuten kann.

Alle Philosophie sollte nun auch ein Ende haben.
Zum Abschluss komme ich daher zum Inhalt der Überschrift, denn es ist höchste Zeit, den genannten Verantwortlichen, ganz besonders Rouven Schröder und Mike Büskens sowie dem kompletten Team ein riesiges Dankeschön dafür auszusprechen, dass sie es uns gerade so schön und leicht machen, Schalker zu sein! Wir Schalker sind ja zwar von Hause aus Elend gewöhnt, sind emotional ohne Grenzen, haben Leidenschaft und Leidensfähigkeit mit der blauweißen Muttermilch aufgesogen, aber natürlich ist es viel schöner, Tränen der Freude als Tränen des Leids zu vergießen… .

In diesem Sinne:
Habt ganz herzlichen Dank dafür, dass Ihr uns nach dieser elendigen Zeit, in der wir immer wieder verlacht worden sind, in der wir manchmal das Gefühl hatten, uns dafür rechtfertigen zu müssen, dass wir immer noch wie eine Frau/ein Mann hinter unserem FC Schalke 04 stehen, unseren ganzen Stolz und die Gewissheit zurückgegeben habt, dass es ein Leben lang für uns nur diesen einen Club geben kann, unsere Liebe von 1904!!

Glück Auf, liebe Mitschalker!!!

Euer Schreiberling
Grafschaft, 19.05.2022